Gasholder Park, King’s Cross in London/GB
Top Story

Wo die Sonne den Mond trifft

Eine Sonnenfinsternis für einen Park und ein Park für ein Quartier – in London/GB.

Es ist verzwickt: Innerstädtische, zentrale Flächen sind kostbar weil selten und mit engster Bebauung für die wachsende Stadtbevölkerung schlicht lukrativer für Städte, Bauherren oder Vermieter, als ein Park. Gleichzeitig werden unter den Einwohnern aber Schreie nach aufhübschenden, erholsamen Flächen zwischen all den Gebäuden größer. Die subjektive Erfahrung dürfte zeigen, dass solche Bereiche eher entstehen, wenn es nicht um neue, lückenfüllende Einzelbauten, sondern um die Renovierung ganzer Quartiere geht. Grün ist eine Zukunftsinvestition. In unseren verengten Städten werden Fassadenflächen genutzt, Hochhausdachflächen und selbst ehemalige Bahntrassen – über- oder unterirdisch – werden zu blühenden Parklandschaften. Doch auch die Lichtgestaltung ist gefragt. Blühende Landschaften sollen nicht nur leuchten, sondern gestaltet sein.

Im Stadtteil London Borough of Camden, nördlich des Stadtzentrums, gibt es eine solche Geschichte. Sie betrifft den dortigen, wichtigen Knotenpunkt um die King’s Cross Station, mit dessen umfangreicher Sanierung und Erweiterung vor einigen Jahren begonnen wurde. Damit einhergehend wurde das Areal nördlich des Bahnhofs, welches bis dato durch brachliegende Industriebauten gekennzeichnet war, zu einem neuen Stadtquartier umgewandelt. Natürlich ist auch dort von Beginn an eine stark verdichtete Hochhausbebauung geplant gewesen. Doch eine dieser alten Industriebauten war ein früherer markanter Gasspeicher. Während drum herum die Gebäude wuchsen und es einkesselten, formierten sich die Anhänger der unbeugsamen Bewegung ... Das Konzept der verantwortlichen Architekten sah in diesem Fall keinen Abriss, sondern den Erhalt und eine besondere Umnutzung vor: der Speicher mit Historie wurde zum Zentrum eines kleinen "Pocket Parks" im neuen Quartier, der wiederum von Landschaftsarchitekten realisiert worden ist. Die erfahrenen Designer von Speirs + Major entwarfen dafür eine besondere Lichtgestaltung.

Der sogenannte Gasspeicher Nr. 8 war immer der größte aller ikonischen Behälter, die einst bei King’s Cross standen. Sie waren prägend für den dortigen städtischen Außenraum und dienten der Speicherung brennbarer Gase, die schließlich wiederum mit den Anfängen der Industrialisierung auch zur Lichterzeugung genutzt wurden. Als ein Überlebender und somit besonderes Erbe war dieser Speicher zum Glück von Beginn an in die Regeneration des Geländes involviert. Die kleine Fläche sollte in einen Park und eine Veranstaltungsfläche umgewandelt werden; der Gasspeicher musste also zunächst mal intensiv restauriert werden. Behälter wie dieser, beziehungsweise deren stählerne Gerüste, bilden eine einzigartige Struktur. Die Lichtgestalter wollten diese hervorheben. Außerdem war es wichtig sicherzustellen, dass das Gelände sowohl am Tag als auch bei Nacht attraktiv, sicher und gut nutzbar ist. Die runde Form brachte die Lichtgestalter auf die Idee, eine Beleuchtung zu kreieren, die besonders bei Dunkelheit Maßstäbe setzt; aber gleichzeitig auch zu einer belebenden immersiven Erfahrung wird. Ihre Inspiration dazu fanden sie in einem astronomischen Ereignis – der Sonnenfinsternis. Jeweils 20 Minuten lang dauert diese, mit künstlicher Beleuchtung nachgespielte Eklipse innerhalb des Gasbehälters. Und dabei wurde einem besonderen Effekt größere Aufmerksamkeit geschenkt – der solaren Korona, einem normalerweise unsichtbaren, sehr heißen Lichtkranz, der lediglich bei einer Sonnenfinsternis, wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt, freiäugig und spektakulär zu sehen ist. Im Gasspeicher beginnt die Eklipse zunächst mal, indem alle Lichter angeschaltet sind. Innerhalb von drei Minuten werden sie von Ost nach West ausgeblendet, bevor es eine zweiminütige Pause – die totale Sonnenfinsternis mit glühendem Korona-Effekt – gibt und die Lichter langsam wieder von West nach Ost aufgeblendet werden, bis es schließlich wieder hell ist.

Um dieses Schauspiel wirkungsvoll umzusetzen, gibt es zwei Ansätze im Speicher. Zum einen wird das historische, stahlgebürstete Gerüst – primär die senkrechten schmalen Stahlständer, aber auch die dazwischen verlaufenden Querträger – dezent und äußerst präzise vom Boden aus mit kühlem Weißlicht angestrahlt. Das lässt eine gut lesbare, auch aus der Distanz erkennbare Silhouette entstehen und belebt das Gehäuse wieder von innen sowie mit der Illusion, dass das Licht der dynamischen Sonnenfinsternis entstammt. Innerhalb des Speichers wurde zum anderen mit der Renovierung ein überdachter, dekorativer Rundweg mit schrägstehenden, tragenden Säulen aus poliertem Edelstahl angelegt. In den Boden sind dort kleine Strahler integriert, die entlang der Säulen bis rauf zur Decke im gleichen kühlen Weißlicht leuchten; das Licht wird dabei zurück auf den Boden reflektiert. Durch diese Gesamtgestaltung wirkt es von außen wie das schwache Leuchten der Korona. Die sichtbaren Strahlen verändern sich im Lauf der künstlichen, zwanzig- minütigen Sonnenfinsternis; sie verlaufen nach allen Seiten. Die vermeintliche Bewegung des Lichts erschafft Muster und Schatten in der Asymmetrie des Gerüsts und flexible Reflexionen in den polierten Oberflächen. Das wiederum bietet eine sanfte, illuminierte Unterhaltung für den "Pocket Park" und dessen Besucher und definiert zusammen mit der Vegetation das Design des Parks.

Die Lichtsteuerung ist nach einer astronomischen Zeituhr getaktet und nimmt für den Verlauf der Lichtzyklen Bezug auf den Mondkalender. Ergänzt, aber auch in der Zielsetzung vervollständigt, wird die Lichtgestaltung außerdem durch warmweißes Licht im Bereich der Stufen und Rampen. Dort sind die Lichtquellen versteckt in die Handläufe integriert.

Könnte der Gasspeicher Nr. 8 bei King’s Cross fühlen, es würde ihm wohl kaum besser gehen, nachdem seine glorreiche Zeit längst vorbei war, ihm gar der Abriss zugunsten von Hochhäusern drohte. Nun ist er Zentrum nicht nur eines wohltuenden kleinen Parks inmitten enger städtischer Außenraumbebauung geworden, sondern auch Mittelpunkt einer außergewöhnlichen Beleuchtung, die durch Präzision, Reinheit und Effektivität überzeugt. Eine Beleuchtung, die buchstäblich, weil das ihre Inspiration und Bezugsquelle ist, einen himmlischen Glanz kreiert, der attraktiv, sicher und gut nutzbar ist. Die künstliche Sonnenfinsternis wird zum immersiven Erlebnis – nicht automatisch, sondern durch gelungene Umsetzung und vor allem dem erschaffenen Leuchten der solaren Korona. Trotz der schmalen Struktur des Objekts, ist es den Lichtgestaltern gelungen, das Licht so präzise einzusetzen, dass es im Wesentlichen im Gasspeicher bleibt; nur gerade so viel wie nötig, ist von außen sichtbar, um anzulocken, Sicherheit und Gefühl zu geben, doch die Umgebung mit Wohnraum nicht zu blenden.

Erneut arbeitete das Team um Mark Major und Keith Bradshaw nicht mit dem Offensichtlichen, sondern legt mit Fingerspitzengefühl Hand an die Aufgabe. Gas ist gleich Energie und Energie ist feuerrot. Gas ist Blau. Nichts von alledem wird genutzt wie viele Planer in leichter Argumentation dem Bauherren und Architekten verkaufen können. Die Struktur des Objekts und das Design des Ingenieurbauwerks sind bedeutender als der historische Inhalt des Gasbehälters. Mehr noch. Das Projekt ist eine Neudefinition seiner Aufgabe im städtischen Umfeld. Diese Aufgabe ist geprägt von Zurückhaltung und Integration und eben nicht von der Auffälligkeit aufdringlicher Beleuchtung. Doch hier mag das Projekt sein Ziel verfehlen. Denn nicht zurückhaltend, sondern aktiv einladend ist das Design für alle Nachtaktiven. Irgendwie ein Gegensatz und doch ist es eben das, was gewollt ist. Ein Kunststück eben, das den Lichtdesigner auszeichnet.

Projektbeteiligte:

Auftraggeber: Argent

Architektur: Bell Phillips Architects

Landschaftsarchitektur: Dan Pearson Studio (Bepflanzung), Townshend Landscape Architects

Lichtgestaltung:
Speirs + Major – Mark Major, Philip Rose, Andrew Howis
Technik: Arup + Hoare Lea

Lichtsteuerung: Control Lighting

Hauptlieferanten:
Photonstar, We-ef, Mike Stoane Lighting and Control Lighting

Verwendete Produkte:

Uplighter Überdachung:
 1 Watt LED, kaltweiß, engstrahlend, Photonstar
Uplighter
historischer Gasspeicher:
24 Watt LED, kaltweiß, engstrahlend, We-ef

Handläufe:
lineare LED-Leuchten 18 Watt, warmweiß, Mike Stoane Lighting